Kriminelle by Djian Philippe
Autor:Djian, Philippe [Djian, Philippe]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Neue Literatur
ISBN: 978-3-257-60374-3
Herausgeber: Diogenes
veröffentlicht: 2014-12-28T05:00:00+00:00
[178] Ich werde wach und schüttle Élisabeth: »Lieber Himmel, ich habe gerade einen schrecklichen Traum gehabt! Ich habe geträumt, Patrick wäre mit dem Flugzeug abgestürzt!«
Und am Vormittag landet er bei uns, mit seinem Seesack über der Schulter, als wir gerade einen Korb für eine Kanufahrt packen.
»Ich hab’s verpaßt«, erklärt er uns. »Jetzt kann ich erst eine Woche später fliegen.«
»Hör mal zu«, rede ich auf ihn ein, »wir haben jetzt Mitte Mai. Wenn du dich ein bißchen zusammennimmst, könntest du noch die Prüfungen machen. Was hältst du davon?«
Er wirft mir nur einen Blick zu, wendet sich dann an Élisabeth: »Ich bin um fünf Uhr morgens aufgestanden und hab meine Sachen zusammengepackt. Dann bin ich auf dem Stuhl wieder eingeschlafen. Und ich hatte schon meinen Mantel an und alles!«
»Hast du deine Mutter angerufen?« frage ich. »Sonst sagt sie noch, es ist meine Schuld.«
Wir nehmen ihn mit. Wir fahren eine knappe Stunde auf der Sainte-Bob stromaufwärts, suchen uns dann einen Platz im Schatten und essen. Danach schläft Patrick ein, während [179] Élisabeth ihre Angeln am Fluß aufstellt. Ich setze mich neben sie und kremple die Hosenbeine hoch, um meine Füße ins Wasser zu halten.
»Die werden ihn mir verderben, weißt du«, sage ich. »Dieser Robert setzt ihm irgendwelche Flausen in den Kopf, Geschichten mit Plantagen und so.«
Sie hat ihre Brille hervorgeholt und ist ganz auf ihre Angel konzentriert; zu beschäftigt, um zu mir hochzusehen.
»Er ist nicht so leicht zu beeinflussen, wie du glaubst«, antwortet sie schließlich.
»Aber ich habe ihn nicht großgezogen, damit er andere ausbeutet. Ich finde, diese Sache mit dem Zucker stinkt.«
»Du wirst aber ein bißchen spät wach.«
»Ich hab nicht mal die Zeit gehabt, um uff zu sagen, meinst du wohl! Vor vierzehn Tagen wußten wir doch nicht mal, daß er abhauen will!«
Sie zieht mit den Zähnen einen Knoten zu, untersucht dann aufmerksam die Angelrute und sagt dabei: »Ich meine nicht nur das.«
»Da kann ich ja nur lachen. Was soll man ihnen denn eigentlich beibringen? Man kann doch höchstens einen Tip geben, von Fall zu Fall. Aber erst, wenn sie mit der Nase drinstecken, sonst nützt es nichts. Und nicht mal, daß man ihnen Ratschläge, ich meine gute Ratschläge, geben kann, ist sicher. Und das bedeutet nicht, daß man spät wach wird, sondern daß man die Augen offenhält.«
Ihre Angelschnur zischt über meinen Kopf hinweg.
»Wichtig ist, ihnen zu zeigen, daß man nicht gleichgültig ist.«
[180] »Ja, aber das steht einem nicht immer auf der Stirn geschrieben.«
Die Sonne scheint wie im Hochsommer. Ich gehe ein bißchen weiter ins Wasser, komme dann zurück und sehe ihr beim Angeln zu. Sie steht bis zu den Oberschenkeln im Fluß und beobachtet mit Luchsaugen die Wasseroberfläche. Ich sage: »Das ist wie bei deinen Fischen: Man braucht Zeit und Geduld. Nur daß es zwanzig Jahre dauert und sie dir immer zwischen den Fingern durchflutschen.«
»Was willst du eigentlich?«
»Ich will, daß man mir die Jahre wiedergibt, in denen ich mich für nichts und wieder nichts aufgerieben habe.«
Auch am Abend ist es noch warm. Wir haben den Küchentisch auf den Balkon gestellt und sitzen im T-Shirt draußen.
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